Von Trais-Horloff im Norden bis Nieder-Florstadt im
Süden erstreckte sich seit jeher eine Sumpflandschaft entlang der Horloff:
die Horloffaue. Auf der gesamten Strecke gab es nur zwei Übergänge. Einen
bei Echzell und einen weiteren bei Reichelsheim. Im Mittelalter durchquerten
Fuhrleute diese Sümpfe daher nur ungern (Wech 1982).
Das Bingenheimer Ried liegt zwischen diesen beiden Übergängen im Herzen der
Wetterau. Die Flächen werden seit hunderten von Jahren als Weideflächen und
für die Heuernte genutzt. Am Westrand und im Süden gab es auch Ackerflächen.
Bereits im Mittelalter wurde das Gebiet namentlich
erwähnt. Am 29.04.1960 veröffentlichte die Wetterauer Zeitung einen Artikel
aus dem hervorgeht, dass sich Ende des 17. Jahrhunderts die Gemeinden
Bingenheim, Gettenau und Heuchelheim um Gemarkungsgrenzen, Weiderechte,
Kosten für Brücken und Wegerechte im Bingenheimer Ried stritten. Nach einem
Leihbrief aus dem Jahr 1578 gehörte das Gebiet einst den drei Gemeinden
gemeinsam. Nach dem Dreißigjährigen Krieg begannen Verhandlungen zur Teilung
des Gebiets. In einem „Großen Protokoll“ vom 06.07. – 10.07.1693 heißt es:
„Das Ried liegt in der Bingenheimer Gemarkung und heißt das Bingenheimer
Ried. Eine Hälfte gehört Bingenheim und die andere Hälfte Gettenau und
Heuchelheim“.
Mit dem Wachstum der Bevölkerung, besonders im nahe gelegenen Frankfurt am
Main, stieg jedoch der Bedarf an Fleisch und somit auch an Weideflächen für
das Vieh. So gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen Gettenau und
Heuchelheim über die Nutzungsrechte, bis 1815 eine endgültige Teilung
vorgenommen wurde. In der Teilungsurkunde vom 08.02.1815 wurde festgelegt,
dass Bingenheim die eine Hälfte, Gettenau zwei Drittel und Heuchelheim ein
Drittel der anderen Hälfte erhalten würden (WZ 29.04.1960).
Um das Gebiet besser nutzen zu
können, wurde die Horloff schon im 19. Jahrhundert regelmäßig gesäubert,
d.h. von Wasserpflanzen, Schlamm und Unrat befreit. Erste
Regulierungsarbeiten wurden vorgenommen (OA 06.02.1879). Auch die
Wassernutzung durch die Bingenheimer und Reichelsheimer Mühlen musste bei
den Arbeiten an der Horloff und den dazugehörigen Gräben (Verlegung und
Säuberung des Flussbetts) berücksichtigt werden.
Der erste große Eingriff in das Ökosystem des
Bingenheimer Rieds geschah mit dem Bau der Horlofftalbahn. Gettenau und
Bingenheim erhielten einen gemeinsamen Haltepunkt im Nordosten des
Bingenheimer Rieds (OA 19.06.1895). Die Bahntrasse führte auf der Westseite
der Horloff entlang und trennte somit die heutige Kernzone von der Horloff.
Dies hatte zur Folge, dass das Wasser in erster Linie über den Wehrgraben
und wahrscheinlich den Ortenberggraben ins Gebiet fließen konnte. Im Jahr
1897 wurde die Bahnstrecke Friedberg – Nidda eröffnet. 3.10.2017
historische Eisenbahn:
1900 begann die Regulierung der Horloff im Bereich der
Gemarkung Reichelsheim, Ober- und Nieder-Florstadt (OA 17.03.1900). In den
zwanziger Jahren beschäftigte ein Fischsterben die umliegenden Gemeinden
(z.B. Beilage des Oberhessischen Anzeigers und der Friedberger Zeitung
22.07.1929). Als Verursacher galten das Braunkohle-Schwelwerk bei
Trais-Horloff, das Braunkohle-Schwelkraftwerk Hessen-Frankfurt in
Wölfersheim und die Abwässer Wölfersheims. Ab 1932 folgte ein Badeverbot (OA
12.08.1932).
Inwieweit die Verunreinigung des Wassers der Horloff auf das Bingenheimer
Ried Auswirkungen hatte, ist nicht bekannt.
Auch in den dreißiger Jahren wurde am Bachbett der Horloff gearbeitet.
Hierbei machten Bauarbeiter interessante Entdeckungen: Bei Regulierungen in
der Nähe von Echzell wurden z.B. eine römische Urne und ein Lämpchen
gefunden (OA 05.06.1933). Schon die Römer lebten rund um die Horloffaue, wie
viele weitere Funde rund um Echzell belegen.
Im November 1949 wurden die Arbeiten für die Säuberung und Profilerweiterung
des Flutbaches auch im Bereich des Bingenheimer Rieds ausgeschrieben
(Wetterauer Nachrichten 1.11.1949).
Die Riedentwässerung blieb für die Gemeinden Gettenau, Bingenheim und
Heuchelheim ein großes Problem (WZ 12.3.1957). Eine landwirtschaftliche
Nutzung war nur sehr eingeschränkt möglich. Sie schlossen sich daher zum
Bodenverband „Riedwiesen-Entwässerung“ zusammen. Um den 2. Weltkrieg wurde
eine Pumpstation gebaut, mit deren Hilfe das Ried entwässert werden sollte.
Sie stand dort, wo sich heute das Wehr befindet. Auf einem Luftbild
(Hessisches Naturschutzinformationssystem des Hessischen Ministeriums für
Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz = Natureg) von
1934 / 36 ist sie noch nicht zu sehen, wohl aber auf dem von 1952 /53
(Natureg) und 1971 (Archiv der Stadt Reichelsheim). Trotz hoher Kosten
brachte sie jedoch keine durchgreifende Verbesserung für die Landwirte.
Eigentlich wollte man den Verband 1957 auflösen, da aber die Planung für
eine Horloffregulierung von Trais-Horloff im Norden bis zur Niddamündung in
Florstadt in vollem Gang war, ließ man ihn bestehen, um besser Einfluss auf
die Planung nehmen zu können (WZ 12.03.1957).
Bis 1980 wurde der Wasserstand über die Pumpstation im Süden des Gebiets
reguliert (Bornholdt 1990: 4).
Im Hessisches Staatsarchiv Darmstadt HSTAD, P 1 Nr.
2148 findet man eine Zeichnung, die den Verlauf der Horloff und der Gräben
um 1773 zeigt. Auf Luftbildern aus natureg erkennt man den Verlauf der Horloff vor und nach der
Begradigung.
Archivalien finden
| Hessisches Landesarchiv (hessen.de)
Natureg Viewer (hessen.de)
Die Arbeiten zur Horloff-Regulierung begannen im Jahr
1959. Bereits Anfang 1960 floss die Horloff im Abschnitt Echzell –
Reichelsheim in einem neuen Bachbett (WZ 09.03.1960). Zu dieser Zeit wurde
an der Horloff im Bereich des Bingenheimer Rieds eine Pappelreihe gepflanzt.
Die Pappelreihe am Flutbach ist bereits auf dem Luftbild von 1952 /53
(Natureg) zu erahnen. Zwei Pappelgruppen von je drei Bäumen, die bis zu
ihrer Fällung Mitte der neunziger Jahre im Bingenheimer Ried standen,
stammen wohl ebenfalls aus dieser Zeit. Winter 1992/1993, die Pappeln stehen
noch. Schlittschuhlaufen im Ried.
Die Pappeln bestimmten für lange Zeit das Landschaftsbild. Erst 2014 /15
wurden die letzten gefällt.
Der Heuchelheimer Gemeinderat forderte im Juli 1969, die Arbeiten des
Verbands „Riedentwässerung“ wieder aufzunehmen (WZ 16. 7.1969). Es ließ sich
aber nicht mehr ermitteln, was aus dem Bodenverband geworden ist.
Das Ziel aller dieser Arbeiten an Flutbach und Horloff war es, die Folgen
von Überschwemmungen zu minimieren und Wiesen- und Weideland sowie das
Ackerland in den Randbereichen des Rieds besser nutzen zu können.
1970 wurde durch den damaligen Jagdpächter zwischen Bingenheim und der
Bingenheimer Mühle ein Teich angelegt. Dies war das erste permanente
Stillgewässer im und rund um das Bingenheimer Ried. Er wurde mit Fischen
besetzt und sollte als ein kleines Naherholungsgebiet für die Bingenheimer
Bürger dienen (WZ 20.06.1970). Heute ist der Teich sich selbst überlassen und
völlig zugewachsen. Schilfzonen haben sich entwickelt in denen Beutelmeisen,
Blaukehlchen und andere Vogelarten brüten.
Die Begradigung der Horloff Anfang der sechziger Jahre wurde 2014 /15 in
einem Abschnitt am Bingenheimer Ried südlich der Brücke beim
Beobachtungsstand durch Renaturierungsmaßnahmen teilweise rückgängig
gemacht. Fotos vom 16.04.2012 – Teile der Pappeln waren bereits gefällt –
und vom 29.05.2015 zeigen dies. Die Pflanzen haben sich Ufer und Inseln
zurückerobert.
Ausweisung als Naturschutzgebiet
Auf Betreiben der NABU-Gruppe Bingenheim (NABU = Naturschutzbund) und der
Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) wurde Anfang
der 1980er Jahre der Antrag gestellt, das Bingenheimer Ried unter
Naturschutz zu stellen. Intensive Bemühungen der ehrenamtlichen
Naturschützer führten dann am 02.01.1985 dazu, dass das Areal durch das
Regierungspräsidium Darmstadt als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde. Gegen
den Willen der meisten Landwirte wurden u.a. die Düngung verboten und die
Jagd stark eingeschränkt, was gravierende Verbesserungen für den Naturschutz
brachte. Bis 1980 war der Wasserstand über die Pumpstation im Süden des
Gebiets reguliert worden (Bornholdt 1990: 4). Im Schutzwürdigkeitsgutachten
ist weiter zu lesen: „Um die Überschwemmungen im Bingenheimer Ried
regulieren zu können, wurde 1981 am Wehrgraben an der Südgrenze des
Bingenheimer Rieds eine Stauklappe errichtet, mit der der Wasserstand der
Gräben geregelt werden kann.“ Weiter heißt es dort: „Die Schleuse am
Wehrgraben wurde im Jahr 1988 aus Naturschutzmitteln repariert. Nun kann die
Schleuse mittels einer Kurbel geschlossen bzw. geöffnet werden.“ Hierbei
handelte es sich aber eher um ein Wehr. Der Wehrgraben, der das NSG teilt,
diente als Abwassersammler der Gemarkung Echzell und trug erheblich zur
Eutrophierung des Bingenheimer Rieds bei. „Erst im Sommer 1989 wurde
Gettenau an die Kläranlage angeschlossen“ (Bornholdt 1990: 4). Das Pumpwerk
wurde in den 1980er Jahren abgerissen. Ab 1991 durfte das Wehr dann auch
genutzt werden. Bei Hochwasser überwiegend im Herbst und Winter wurde es
geöffnet und Wasser floss ins Ried. Bei Erreichen eines festgelegten
Wasserstands wurde das Wehr geschlossen und bis August nicht wieder
geöffnet. So entstand ein wunderbares, wertvolles Biotop u.a. für Amphibien
und Libellen, sowie für Rallen, die während der Brutzeit einen möglichst
gleichbleibenden Wasserstand brauchen. In den Randbereichen der nassen
Flächen brüteten u.a. Kiebitz, Uferschnepfe, Großer Brachvogel und
Bekassine. Seltene Amphibienarten, wie Kammmolch, Laubfrosch, Wechsel- und
Knoblauchkröte konnten nachgewiesen werden und nahmen, wie die Anzahl der
beobachteten Libellenarten, langsam zu. Das Land Hessen und die NABU-Gruppe
Bingenheim kauften die meisten Flächen im Gebiet. Auch die Gemeinden
Reichelsheim und Echzell stellten dort Flächen für den Naturschutz zur
Verfügung. Die wenigen Ackerflächen im Süden und Westen des NSGs wurden in
Grünland umgewandelt. Dort, wo kein Heu geerntet werden konnte, mähten
Lohnunternehmer die Flächen im Winter. Das Mähgut wurde kompostiert. Da dies
auf Dauer zu teuer war, begann man 1998 mit der Beweidung durch Rinder. In
Randbereichen außerhalb des NSGs im Süden und Nordwesten wurden weitere
Ackerflächen in Grünland umgewandelt und ebenfalls beweidet. Im Jahr 2009
ließen die Naturschutzbehörden eine Schutzhütte für das Weidevieh errichten.
Im Winter 2010/11 folgte eine weitere Hütte im Norden des Gebiets. In den
Jahren 2008 – 2011 wurde ein stabiler Weidezaun um das Bingenheimer Ried
errichtet. Heute wird die gesamte Fläche beweidet, wobei die Kernzone
während der Brutzeit ausgenommen ist. Die Rinder weiden auch in den nassen
Flächen, wenn diese nicht abgeteilt werden.
|