Die Geschichte des Bingenheimer Rieds
 

Hier zeige ich Teile des Texts aus meinem Buch "Das Bingenheimer Ried", das im Jahr 2018 erschien und mittlerweile nur noch antiquarisch erhältlich ist.
 

Von Trais-Horloff im Norden bis Nieder-Florstadt im Süden erstreckte sich seit jeher eine Sumpflandschaft entlang der Horloff: die Horloffaue. Auf der gesamten Strecke gab es nur zwei Übergänge. Einen bei Echzell und einen weiteren bei Reichelsheim. Im Mittelalter durchquerten Fuhrleute diese Sümpfe daher nur ungern (Wech 1982).
Das Bingenheimer Ried liegt zwischen diesen beiden Übergängen im Herzen der Wetterau. Die Flächen werden seit hunderten von Jahren als Weideflächen und für die Heuernte genutzt. Am Westrand und im Süden gab es auch Ackerflächen.

Bereits im Mittelalter wurde das Gebiet namentlich erwähnt. Am 29.04.1960 veröffentlichte die Wetterauer Zeitung einen Artikel aus dem hervorgeht, dass sich Ende des 17. Jahrhunderts die Gemeinden Bingenheim, Gettenau und Heuchelheim um Gemarkungsgrenzen, Weiderechte, Kosten für Brücken und Wegerechte im Bingenheimer Ried stritten. Nach einem Leihbrief aus dem Jahr 1578 gehörte das Gebiet einst den drei Gemeinden gemeinsam. Nach dem Dreißigjährigen Krieg begannen Verhandlungen zur Teilung des Gebiets. In einem „Großen Protokoll“ vom 06.07. – 10.07.1693 heißt es: „Das Ried liegt in der Bingenheimer Gemarkung und heißt das Bingenheimer Ried. Eine Hälfte gehört Bingenheim und die andere Hälfte Gettenau und Heuchelheim“.
Mit dem Wachstum der Bevölkerung, besonders im nahe gelegenen Frankfurt am Main, stieg jedoch der Bedarf an Fleisch und somit auch an Weideflächen für das Vieh. So gab es immer wieder Streitigkeiten zwischen Gettenau und Heuchelheim über die Nutzungsrechte, bis 1815 eine endgültige Teilung vorgenommen wurde. In der Teilungsurkunde vom 08.02.1815 wurde festgelegt, dass Bingenheim die eine Hälfte, Gettenau zwei Drittel und Heuchelheim ein Drittel der anderen Hälfte erhalten würden (WZ 29.04.1960).
Um das Gebiet besser nutzen zu können, wurde die Horloff schon im 19. Jahrhundert regelmäßig gesäubert, d.h. von Wasserpflanzen, Schlamm und Unrat befreit. Erste Regulierungsarbeiten wurden vorgenommen (OA 06.02.1879). Auch die Wassernutzung durch die Bingenheimer und Reichelsheimer Mühlen musste bei den Arbeiten an der Horloff und den dazugehörigen Gräben (Verlegung und Säuberung des Flussbetts) berücksichtigt werden.

Der erste große Eingriff in das Ökosystem des Bingenheimer Rieds geschah mit dem Bau der Horlofftalbahn. Gettenau und Bingenheim erhielten einen gemeinsamen Haltepunkt im Nordosten des Bingenheimer Rieds (OA 19.06.1895). Die Bahntrasse führte auf der Westseite der Horloff entlang und trennte somit die heutige Kernzone von der Horloff. Dies hatte zur Folge, dass das Wasser in erster Linie über den Wehrgraben und wahrscheinlich den Ortenberggraben ins Gebiet fließen konnte. Im Jahr 1897 wurde die Bahnstrecke Friedberg – Nidda eröffnet. 3.10.2017 historische Eisenbahn:

1900 begann die Regulierung der Horloff im Bereich der Gemarkung Reichelsheim, Ober- und Nieder-Florstadt (OA 17.03.1900). In den zwanziger Jahren beschäftigte ein Fischsterben die umliegenden Gemeinden (z.B. Beilage des Oberhessischen Anzeigers und der Friedberger Zeitung 22.07.1929). Als Verursacher galten das Braunkohle-Schwelwerk bei Trais-Horloff, das Braunkohle-Schwelkraftwerk Hessen-Frankfurt in Wölfersheim und die Abwässer Wölfersheims. Ab 1932 folgte ein Badeverbot (OA 12.08.1932).
Inwieweit die Verunreinigung des Wassers der Horloff auf das Bingenheimer Ried Auswirkungen hatte, ist nicht bekannt.
Auch in den dreißiger Jahren wurde am Bachbett der Horloff gearbeitet. Hierbei machten Bauarbeiter interessante Entdeckungen: Bei Regulierungen in der Nähe von Echzell wurden z.B. eine römische Urne und ein Lämpchen gefunden (OA 05.06.1933). Schon die Römer lebten rund um die Horloffaue, wie viele weitere Funde rund um Echzell belegen.
Im November 1949 wurden die Arbeiten für die Säuberung und Profilerweiterung des Flutbaches auch im Bereich des Bingenheimer Rieds ausgeschrieben (Wetterauer Nachrichten 1.11.1949).
Die Riedentwässerung blieb für die Gemeinden Gettenau, Bingenheim und Heuchelheim ein großes Problem (WZ 12.3.1957). Eine landwirtschaftliche Nutzung war nur sehr eingeschränkt möglich. Sie schlossen sich daher zum Bodenverband „Riedwiesen-Entwässerung“ zusammen. Um den 2. Weltkrieg wurde eine Pumpstation gebaut, mit deren Hilfe das Ried entwässert werden sollte. Sie stand dort, wo sich heute das Wehr befindet. Auf einem Luftbild (Hessisches Naturschutzinformationssystem des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz = Natureg) von 1934 / 36 ist sie noch nicht zu sehen, wohl aber auf dem von 1952 /53 (Natureg) und 1971 (Archiv der Stadt Reichelsheim). Trotz hoher Kosten brachte sie jedoch keine durchgreifende Verbesserung für die Landwirte. Eigentlich wollte man den Verband 1957 auflösen, da aber die Planung für eine Horloffregulierung von Trais-Horloff im Norden bis zur Niddamündung in Florstadt in vollem Gang war, ließ man ihn bestehen, um besser Einfluss auf die Planung nehmen zu können (WZ 12.03.1957).
Bis 1980 wurde der Wasserstand über die Pumpstation im Süden des Gebiets reguliert (Bornholdt 1990: 4).
Im Hessisches Staatsarchiv Darmstadt HSTAD, P 1 Nr. 2148 findet man eine Zeichnung, die den Verlauf der Horloff und der Gräben um 1773 zeigt. Auf Luftbildern aus natureg erkennt man den Verlauf der Horloff vor und nach der Begradigung.
Archivalien finden | Hessisches Landesarchiv (hessen.de)

Natureg Viewer (hessen.de)

 

Die Arbeiten zur Horloff-Regulierung begannen im Jahr 1959. Bereits Anfang 1960 floss die Horloff im Abschnitt Echzell – Reichelsheim in einem neuen Bachbett (WZ 09.03.1960). Zu dieser Zeit wurde an der Horloff im Bereich des Bingenheimer Rieds eine Pappelreihe gepflanzt. Die Pappelreihe am Flutbach ist bereits auf dem Luftbild von 1952 /53 (Natureg) zu erahnen. Zwei Pappelgruppen von je drei Bäumen, die bis zu ihrer Fällung Mitte der neunziger Jahre im Bingenheimer Ried standen, stammen wohl ebenfalls aus dieser Zeit. Winter 1992/1993, die Pappeln stehen noch. Schlittschuhlaufen im Ried.

Die Pappeln bestimmten für lange Zeit das Landschaftsbild. Erst 2014 /15 wurden die letzten gefällt.
Der Heuchelheimer Gemeinderat forderte im Juli 1969, die Arbeiten des Verbands „Riedentwässerung“ wieder aufzunehmen (WZ 16. 7.1969). Es ließ sich aber nicht mehr ermitteln, was aus dem Bodenverband geworden ist.
Das Ziel aller dieser Arbeiten an Flutbach und Horloff war es, die Folgen von Überschwemmungen zu minimieren und Wiesen- und Weideland sowie das Ackerland in den Randbereichen des Rieds besser nutzen zu können.
1970 wurde durch den damaligen Jagdpächter zwischen Bingenheim und der Bingenheimer Mühle ein Teich angelegt. Dies war das erste permanente Stillgewässer im und rund um das Bingenheimer Ried. Er wurde mit Fischen besetzt und sollte als ein kleines Naherholungsgebiet für die Bingenheimer Bürger dienen (WZ 20.06.1970). Heute ist der Teich sich selbst überlassen und völlig zugewachsen. Schilfzonen haben sich entwickelt in denen Beutelmeisen, Blaukehlchen und andere Vogelarten brüten.
Die Begradigung der Horloff Anfang der sechziger Jahre wurde 2014 /15 in einem Abschnitt am Bingenheimer Ried südlich der Brücke beim Beobachtungsstand durch Renaturierungsmaßnahmen teilweise rückgängig gemacht. Fotos vom 16.04.2012 – Teile der Pappeln waren bereits gefällt – und vom 29.05.2015 zeigen dies. Die Pflanzen haben sich Ufer und Inseln zurückerobert.


Ausweisung als Naturschutzgebiet
Auf Betreiben der NABU-Gruppe Bingenheim (NABU = Naturschutzbund) und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) wurde Anfang der 1980er Jahre der Antrag gestellt, das Bingenheimer Ried unter Naturschutz zu stellen. Intensive Bemühungen der ehrenamtlichen Naturschützer führten dann am 02.01.1985 dazu, dass das Areal durch das Regierungspräsidium Darmstadt als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde. Gegen den Willen der meisten Landwirte wurden u.a. die Düngung verboten und die Jagd stark eingeschränkt, was gravierende Verbesserungen für den Naturschutz brachte. Bis 1980 war der Wasserstand über die Pumpstation im Süden des Gebiets reguliert worden (Bornholdt 1990: 4). Im Schutzwürdigkeitsgutachten ist weiter zu lesen: „Um die Überschwemmungen im Bingenheimer Ried regulieren zu können, wurde 1981 am Wehrgraben an der Südgrenze des Bingenheimer Rieds eine Stauklappe errichtet, mit der der Wasserstand der Gräben geregelt werden kann.“ Weiter heißt es dort: „Die Schleuse am Wehrgraben wurde im Jahr 1988 aus Naturschutzmitteln repariert. Nun kann die Schleuse mittels einer Kurbel geschlossen bzw. geöffnet werden.“ Hierbei handelte es sich aber eher um ein Wehr. Der Wehrgraben, der das NSG teilt, diente als Abwassersammler der Gemarkung Echzell und trug erheblich zur Eutrophierung des Bingenheimer Rieds bei. „Erst im Sommer 1989 wurde Gettenau an die Kläranlage angeschlossen“ (Bornholdt 1990: 4). Das Pumpwerk wurde in den 1980er Jahren abgerissen. Ab 1991 durfte das Wehr dann auch genutzt werden. Bei Hochwasser überwiegend im Herbst und Winter wurde es geöffnet und Wasser floss ins Ried. Bei Erreichen eines festgelegten Wasserstands wurde das Wehr geschlossen und bis August nicht wieder geöffnet. So entstand ein wunderbares, wertvolles Biotop u.a. für Amphibien und Libellen, sowie für Rallen, die während der Brutzeit einen möglichst gleichbleibenden Wasserstand brauchen. In den Randbereichen der nassen Flächen brüteten u.a. Kiebitz, Uferschnepfe, Großer Brachvogel und Bekassine. Seltene Amphibienarten, wie Kammmolch, Laubfrosch, Wechsel- und Knoblauchkröte konnten nachgewiesen werden und nahmen, wie die Anzahl der beobachteten Libellenarten, langsam zu. Das Land Hessen und die NABU-Gruppe Bingenheim kauften die meisten Flächen im Gebiet. Auch die Gemeinden Reichelsheim und Echzell stellten dort Flächen für den Naturschutz zur Verfügung. Die wenigen Ackerflächen im Süden und Westen des NSGs wurden in Grünland umgewandelt. Dort, wo kein Heu geerntet werden konnte, mähten Lohnunternehmer die Flächen im Winter. Das Mähgut wurde kompostiert. Da dies auf Dauer zu teuer war, begann man 1998 mit der Beweidung durch Rinder. In Randbereichen außerhalb des NSGs im Süden und Nordwesten wurden weitere Ackerflächen in Grünland umgewandelt und ebenfalls beweidet. Im Jahr 2009 ließen die Naturschutzbehörden eine Schutzhütte für das Weidevieh errichten. Im Winter 2010/11 folgte eine weitere Hütte im Norden des Gebiets. In den Jahren 2008 – 2011 wurde ein stabiler Weidezaun um das Bingenheimer Ried errichtet. Heute wird die gesamte Fläche beweidet, wobei die Kernzone während der Brutzeit ausgenommen ist. Die Rinder weiden auch in den nassen Flächen, wenn diese nicht abgeteilt werden.